Afrika, für uns bisweilen ein unentdeckter Kontinent, wenn wir von Marokko mal absehen. Wo sollen wir anfangen? Am besten dort, wo alles begann – in Äthiopien. Vier Wochen nehmen wir uns Zeit für den Norden des Landes.
Wir starten in der Hauptstadt Addis Abeba, was so viel bedeutet wie Neue Blume. Die Metropole ist tatsächlich neu, sie wurde erst vor 130 Jahren gegründet, mit einer schönen duftenden Blume hat sie allerdings nichts gemein. Entweder sie ist mittlerweile verwelkt und modert vor sich hin oder es hat sie nie gegeben. Kaum eine Stunde aus dem sicheren Hotel, werden wir auch schon von Straßenkindern beklaut. Es sind nur zwanzig Euro, und wer will es ihnen übel nehmen. Im National Museum sehen wir die Überbleibsel von Lucy, die mit einem Alter von rund 3,2 Millionen Jahren zu den ältesten menschlichen Vorfahren zählt. In der Sankt Georges Kathedrale entkommen wir kurz dem ganzen Trubel. Beim Gang durch die Straßen ziehen wir die Aufmerksamkeit wie ein Magnet an. Daran müssen wir uns erstmal wieder gewöhnen. Schnellstmöglich wollen wir die hässliche Stadt verlassen, doch um 5 Uhr morgens erscheint unser gebuchter Bus einfach nicht. Zum Glück nimmt uns ein anderer Bus mit und wir entkommen der Hauptstadt. Auf dem Land scheint das Mittelalter die Moderne noch fest im Griff zu haben. Ochsen durchpflügen die trockenen Felder, Frauen tragen Wasser vom Brunnen nach Hause oder sammeln Geäst als Brennstoff fürs Kochen. Achtzig Prozent der Äthiopier leben auf dem Land. Nach 11 Stunden steigen wir aus dem Bus in Bahir Dar aus, eine Stadt am Südufer des Tanasees, dem Ursprung des Blauen Nils.
Mit dem Boot schippern wir zu entlegenen Klöstern und beobachten Nilpferde beim Auf- und Abtauchen. In Tis Abay, 30 Kilometer südöstlich von Bahir Dar, stürzt der Blaue Nil in die Tiefe. Trotz Trockenzeit sind die Wassermassen gewaltig. Sobald wir kurz an einem Ort verweilen sind wir von Kindern umringt. Die Bevölkerung in Äthiopien hat sich seit den 1970er Jahren mit einem Wachstum von 30 auf 100 Millionen Einwohnern mehr als verdreifacht, 45 % sind unter 15 Jahre.
Am Nordufer des Tanasees finden wir bei Gorgora ein kleines Resort mit netten Hütten, hier gefällt es uns so gut, dass wir ganze 5 Tage verweilen. Ein passender Ort, um dem ganzen Trubel für einige Tage zu entkommen.
Gut erholt geht die Reise weiter. In Gondar trennen sich unsere Wege. Elli kann schweren Herzens aufgrund der Schwangerschaft nicht mit auf die dreitägige Trekkingtour in die Simien Mountains. Die Luft ist dort zu dünn. Stolz nennen die Äthiopier das Bergmassiv „das Dach von Afrika“. Nirgendwo auf dem Kontinent gibt es ein zusammenhängendes Bergmassiv mit so vielen Gipfeln. Begleitet von einem Guide, Koch samt Assistenten und einem bewaffnetem Aufpasser wandern wir (zwei weitere Touristen und ich) stets oberhalb einer senkrechten Felswand entlang. Hier endet das Hochplateau und fällt hunderte von Metern ab. Fantastische Aussicht auf gezackte Berggipfel und tiefe Schluchten. Bergwälder säumen den Weg. Am zweiten Tag reisen die Mitstreiter ab, und ich bin alleine mit der Crew. Heute begleiten mich der Guide und der Aufpasser auf den zweithöchsten Berg Äthiopiens. Beim Aufstieg streunen Herden von Blutbrustpavianen umher, die einzige Affenart, die sich ausschließlich vegetarisch ernährt. Auch äthiopische Steinböcke füllen das Landschaftsbild mit Leben. Mit einem Lächeln im Gesicht erreichen wir den Gipfel des Mount Bwahit (4430m). An der wohl schönsten Szenerie der Simiens, in Chenek, verbringe ich die zweite Nacht im Zelt auf 3600 Metern. Der dritte und letzte Tag beginnt mit einer verrückten Busfahrt auf der extrem holprigen Straße. Einen Teil der weiten Strecke lege ich zu Fuß zurück. Noch einmal kann ich die Landschaft intensiv erleben. Ein Jeep bringt mich am Abend zurück nach Gondar, wo ich von Elli schon erwartet werde.
Im Zentrum der großen Stadt ragt der Palastbezirk Fasil Ghebbi in die Höhe, der von kaiserlichen Zeiten des 17. Jahrhunderts zeugt.
Die Busfahrt nach Lalibela beginnt in den frühen Morgenstunden. Die letzten 60 Kilometer bestreiten wir in einem ziemlich vollgestopften Minibus, auf einer Straße, auf der man aufgrund der Beschaffenheit lieber zu Fuß unterwegs wäre.
Ziemlich erschöpft finden wir ein schönes Hotel mit einer tollen Aussicht über die Stadt. Vier Tage nehmen wir uns Zeit für den Ort mit den berühmten Felsenkirchen. Diese bemerkenswerten Bauwerke ragen nicht in die Höhe, sondern wurden unterirdisch aus massivem Fels herausgeschlagen. Erbaut wurden diese in nur 23 Jahren, im späten 12. Jahrhundert. Auf die Frage, wer die Kirchen erbaut hat, antwortet unser Guide, es sei König Lalibela selbst gewesen, mit der Hilfe von Engeln. Die Wissenschaft ist sich hingegen sicher, dass es mindestens 40 000 Arbeiter gewesen sein müssen, die diese Wunderwerke erschaffen haben. Für uns unvorstellbar! Die Wandgemälde von damals sind erstaunlich gut erhalten. Die Kirchen sind UNESCO-Weltkulturerbe. Sie wurden einst als zweites Jerusalem erbaut, um den Pilgern den weiten Weg nach Jerusalem zu ersparen. Noch heute strömen zahlreiche Pilger in die Gotteshäuser.
Es ist Samstag, Markttag. Von überall strömen die Bauern aus den umliegenden Dörfern auf den Platz unweit der berühmten Kirchen. Es wimmelt nur so von Menschen und Tieren. Wir zwängen uns durch das chaotische Treiben. Das Angebot ist riesig. Ein Junge hilft uns, nicht den Überblick zu verlieren. Es sind mehr Eindrücke als unser Gehirn verarbeiten kann.
Mit einem Jeep verlassen wir Lalibela wieder. Insgesamt benötigen wir 13 Fahrstunden nach Mekele im Nordosten Äthiopiens. Nach einer kurzen Nacht holt unser Fahrer uns ab, wir starten eine zweitägige Tour zu den Felsenkirchen von Tigray. Irgendwann werden die Straßen immer schlechter, dann geht es nur noch zu Fuß und mit den Händen weiter. Wir müssen eine Kletterpassage überwinden, um zu einer der vielen versteckten Kirchen zu gelangen. Der Eingang der Abuna Yemata Kirche befindet sich auf einem kleinen Felsvorsprung in einer Steilwand. Von hier geht es einige hundert Meter senkrecht hinunter. Wir haben einen traumhaften Blick über die wunderbare Landschaft. Nicht nur die Lage, sondern auch die in die Felsen gehauene Kirche an sich ist sehr beeindruckend. Da kein Tageslicht an die religiösen Malereien gelangt, sind auch diese sehr gut erhalten.
Nach einem zweistündigen Fußmarsch, meist steil bergauf, erreichen wir noch am selben Tag zwei weitere Kirchen, Maryam Korkor und Daniel Korkor. Die außergewöhnliche Lage im Fels in einer bizarren Landschaft machen auch diese Kirchen zu einem echten Highlight. Die Nacht verbringen wir in Hawzien. Schon in der Nacht und am zweiten Tag unserer Tour ist Elli ziemlich krank, weswegen sie leider auf die Besichtigung der beiden Kirchen Abuna Gebre Mikael und Medhane Alem Kesho verzichten muss. In letzterer findet gerade ein Gottesdienst statt. Es ist schon erstaunlich, mit welcher Hingabe die Gläubigen bei der Sache sind, nicht einmal ein knipsender Tourist bringt sie aus dem Konzept. Am Abend erkundet Christoph die Altstadt von Mekele, neben Gondar die zweitgrößte Stadt Äthiopiens. Wir entscheiden uns ausnahmsweise für das Flugzeug zurück nach Addis Abeba, um der schwangeren und gleichzeitig kranken Elli die beschwerliche zweitägige Busfahrt zu ersparen.
In Addis Abeba begann und endet unsere Reise. Noch einmal stürzen wir uns ins Getümmel, wir besuchen den Markt der Hauptstadt, der als einer der größten Afrikas gilt und einen eigenen Stadtteil für sich beansprucht. Gleichzeitig ist er der dreckigste, versiffteste und chaotischste Markt auf dem wir je waren, aber hier pulsiert das Leben wie nirgendwo sonst in der Stadt. In der vollgestopften Stadtbahn müssen wir unsere Hände in die Höhe strecken, um überhaupt reinzupassen und haben größte Schwierigkeiten an unserer Station auszusteigen. Mit tausenden Eindrücken im Gepäck steigen wir ins Flugzeug. Der große Kontrast zu dem Leben in Europa macht die Reise zu einem unvergesslichen Erlebnis.